ANKERN:
LEHRBÜCHER VERLEITEN ZUR FAHRLÄSSIGKEIT |
WIEVIEL KETTE UND LEINE MUSS ICH WIRKLICH
STECKEN ?
Von Dipl.-Ing. Harald Melwisch.
Retour zur Seefahrt
Das Wissen über richtiges Ankern gehört
zu den sicherheitsrelevanten Wissensgebieten für jeden Skipper. Jährlich
stranden Schiffe weil sie nicht gut genug verankert sind.
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Die einschlägigen
Lehrbücher für angehende Skipper könnten das Wissen
verbessern, aber gerade dort sind Ankerketten und Leinen oft nur
ein Stiefkind.
In einigen Lehrbüchern stehen sogar
unverantwortliche Aussagen über nötige Kettenlängen
die zur Fahrlässigkeit geradezu ermuntern. Warum das so ist
werde ich hier zeigen.
Auch auf das Verhalten des Ankergeschirres
bei dynamischer Belastung und die Risken bei steifgekommenen Ketten
wird zuwenig higewiesen.
Erfahrene Skipper und einschlägige
Zeitschriftenartikeln warnen vor diesen Risken, aber die Lehrbücher
schreiben offensichtlich nur voneinender ab. |
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Folgende
unverantwortliche Aussagen stehen in Lehrbüchern:
Spätestens bei Windstärke 6 oder Wellengang sind folgende Aussagen
unverantwortlich:
- Beim Ankern sollte man eine Kettenlänge von 3-5 facher Wassertiefe
verwenden.
- Die Kette sorgt immer dafür dass der Anker horizontal belastet
wird.
- Ankertrossen haben einen Kettenvorlauf damit der Ankerschaft am Boden
bleibt.
Auf folgende
Tatsachen sollte mehr hingewiesen werden:
Viel zu wenig wird aufmerksam gemacht auf die
entscheidende Rolle der Elastizität und Federwirkung des Ankergeschirres.
Auch auf die Reduzierung der Haltekraft durch Anheben des Ankerschaftes
wird zuwenig eingegangen.
- Ankerketten werden ab einer „kritischen“ Belastung steif
. Dies geschieht speziell bei dynamischer Belastung früher als man
denkt
- Anker verlieren mit angehobenem Schaft schnell an Haltekraft
- Auch Ankerketten heben bei starker Belastung den Ankerschaft vom Grund
- Ankertrossen werden unterschätzt, sie bleiben aber elastisch auch
bei Belastung und Überbelastung
- Ankertrossen brauchen einen Vorlauf gegen Schamfielen, das Gewicht des
Vorlaufes nützt im Ernstfall wenig.
- Für mehr „Federwirkung“ sind Ankertrossen als Verlängerung
von Ketten bei Wellengang anzuraten.
Das sollte in
jedem Lehrbuch über Ankern stehen:
1.Wird der Schaft eines Ankers angehoben,
sinkt seine Haltekraft.
Ausbrechen des Ankers ist immer eine Kombination
von Zugkraft am Schaft und Anheben oder Verdrehen des Schaftes. |
Es gibt viele
Ankertypen und Ankergründe mit unterschiedlichen Eigenschaften,
aber als Faustregel kann man sagen dass ein Anheben des Schaftes
um 10 Grad seine Haltekraft um 30% reduziert. Schaut man auf Ankertests
dann sieht man dass minus 30% meist schon sehr weh tut.
Ankerleine und Kette heben beide den Ankerschaft
an bei Belastung, die Leine sofort, die Kette ab einer gewissen
"kritischen" Belastung.
Wählt man eine Länge von 6 facher
Wassertiefe wird der Schaft beinahe um 10 Grad angehoben.
Das gilt für Leinen,
bei grossen Lasten auch für Ketten:
Weniger als 6 fache
Wassertiefe kann zu Abheben von mehr als 10 Grad führen.
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2. Konstante Belastung der Ankerkette ist
weniger gefährlich.
Konstante Belastung des Ankers entsteht meist
durch (konstanten) Wind oder Strom. Die Stärke dieser Belastung ist
von den Abmessungen und der Form des Schiffes abhängig, nicht vom
Gewicht.
Ab welcher Belastung die Kette vom Grund abgehoben
ist und beginnt den Ankerschaft abzuheben hängt von gesteckter Kettenlänge
und Wassertiefe ab.
Wenn eine Jacht beispielsweise auf 5m Wassertiefe
mit 60m (8mm) Kette verankert ist, dann ist die Kette bei 429kp Belastung
voll vom Grund abgehoben und beginnt den Ankerschft zu heben. Dies ist
ein guter Wert.
Zum Vergleich:
Bei einem 12m langen Segelboot, 30 Grad zum Wind geschwoit, muss man mit
folgenden Kräften rechnen:
Beaufort 6 : 200kp
Beaufort 7: 330kp
Beaufort 8: 500kp
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Wird die Kette
auf 30m verkürzt, sinkt dieser Wert auf nur 105kp, allerdings
wird der Ankerschaft auch bei Überlast nicht um mehr als 10
Grad angehoben.
Wird die Kette auf 15m verkürzt,
also 3 fache Wassertiefe, dann sinkt dieser Wert auf 24kp. Eine
Windstärke von weniger als 4Bft genügt um diese Kraft
zu erzeugen.
Dazu kommt noch dass bei dreifacher
Wassertiefe der Ankerschaft um gefährliche 20 Grad angehoben
wird bei Überlast.
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Solche Kettenlängen
sind unverantwortlich und sollten sicher nicht in Lehrbüchern für
angehende Skipper stehen.
Warum stehen in Lehrbüchern zu kleine Werte ?
Lehrbücher haben früher aus Quellen
geschöpft die für grössere Schiffe als die heutigen Sportschiffe
geschrieben waren.
Das Buch "Leitfaden der Seemannschaft" wurde
beispielsweise 1935 für die Deutsche Marine geschrieben. Darin steht,
dass man "bis 20 Wassertiefe" 80m Kette stecken sollte, also
bei 20m die 4- fache Wassertiefe als Kettenlänge.
Lehrbücher für die Sportschiffahrt
haben diese 4-fache Kettenlänge übernommen, aber vergessen dass
dies die Empfehlung für 20m Wassertiefe war !
Sportschiffe ankern aber selten auf 20m Wassertiefe,
und die Auswirkung davon zeigt die untenstehende Grafik:
In den Kästchen dieser Grafik steht das benötigte
Kettenlängen / Wassertiefenverhältnis um eine bestimmte Zugbelastung
bis Abheben der Kette zu erlauben (hier jetzt für eine 10mm Kette).
Man sieht also dass bei 20m Wassertiefe 4-fache Kettenlänge eine
Zugbelastung von 300kp erlaubt. Das ist ein Wert der ein Abwettern von
7 Bft eventuell schon erlaubt.
Will man denselben Wert von 300kp bei kleineren
Wassertiefen erreichen, dann ist allerdings ein höheres Ketten /
Wassertiefenverhältnis nötig. Bei 10m Wassertiefe schon 5,6
fach , bei 5m schon 7,9 fach.
Grafik "Kettenlänge pro Wassertiefe"
Diese Grafik zeigt auch deutlich dass ein bestimmtes
Kettenlängen / Wassertiefenverhältnis immer nur für eine
bestimmte Wassertiefe und eine bestimmte maximale Zugbelastung gilt. Daher
kann so ein Verhältnis nur mit diesen Bedingungen als Empfehlung
dienen.
3. Bewegt sich das Schiff, dann muss diese Bewegung abgefangen
werden.
Wenn die Masse eines bewegten Schiffes abgebremst
wird, dann kann ein plötzlicher Ruck entstehen der wesentlich grösser
ist als die Haltekraft des Ankers. Dies ist vermutlich die häufigste
Ursache für ausgerissene Anker bei Wellen, Dünung oder Windböen.
Da der Anker einen plötzlichen Ruck nicht
aushält, muss die Trosse oder Kette vorher die Energie der bewegten
Schffsmasse mildern.
Das geschieht bei der Trosse mit der Elastizität,
bei der Kette mit dem Gewicht.
Die Energie die abgefangen werden muss ist direkt abhängig von der
Schiffsmasse und quadratisch von der Geschwindigkeit mit der das Schiff
sich bewegt. Hier spielt bei der Dimensionierung also die Tonnage des
Schiffes eine Rolle.
Eine Trosse ist umso elastischer je länger
sie ist, daher genügt 6 fache Wassertiefe oft nicht. Zu vermerken
ist aber dass eine Trosse mehr Energie aufnehmen kann als eine gleichlange
Kette.
Hilfreich ist die Tatsache dass die Trosse ihre Elastizität auch
bei Überbelastung beibehält, bis sie reisst.
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Die Kette ist
in diesem Punkt wesentlich gefährlicher: Sie bremst aufgrund
ihres Gewichtes zwar die Schiffsmasse teilweise ab, gestreckt ist
sie aber so steif wie Stahl. Die restliche Energie der Schiffsmasse
wirkt dann ruckartig auf den Anker und belastet ihn sehr stark.
Es ist daher bei der Kette sehr wichtig
zu wissen welche Energie oder Schiffsgeschwindigkeit sie aufnehmen
kann bevor sie steifkommt. Das wird oft zu optimistisch eingeschätzt.
Eine Jacht, die auf 5m Wassertiefe mit
nur 15m Kette verankert ist, bringt die Kette in abgehobene Lage
wenn sie mit nur 24cm/sek in diese einfährt. Es genügt
die Bugwelle eins Ausflugschiffes oder ein kurzer Windstoss um das
zu bewirken.
Ein nur 3 Sekunden (!) dauernder Windstoss
von 5 Bft bringt eine Jacht auf diese Geschwindigkeit.
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Auch hier zeigt sich wieder
dass solche Kettenlängen unverantwortlich sind und sicher nicht in
Lehrbüchern für angehende Skipper stehen sollten. |
Bei 6 facher Wassertiefe,
also 30m Kette, kann die Kette das Schiff nach einem Bft 6 Windstoss
von fast 4 Sekunden noch abbremsen ohne steifzukommen. Wenn es aber
trotzdem passiert, dann wird der Ankerschaft nicht mehr als 10 Grad
angehoben.
Für Windböen von über 6
Bft oder bei unruhiger See ist aber trotzdem die Gefahr des Einruckens
sodass auch hier gilt: Mehr als 6:1 ist empfehlenswert.
Setzt man im obigen Beispiel 60m Kette dann
wird die aufnehmbare Energie mehr als verdoppelt.
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Die „giftige“
Eigenschaft der Kette, nämlich dass sie nach Steifkommen keine Elastizität
mehr bietet, ist bei starken Windböen oder Welle / Dünung die
grösste Gefahr.
Am besten kann man diese dadurch entschärfen,
dass man die Kette mit möglichst viel elastischer Ankertrosse verlängert.
4. Ankern bei grösseren Wassertiefen und in Tidengewässern:
Bei grösseren Wassertiefen sinkt bei gleicher
Kettenlänge die erlaubte Kraft an der Kette, aber es steigt die Energie
die sie aufnehmen kann. Die 429kp statische Belastbarkeit von 60m (8mm)
Kette auf 5m Wassertiefe sinken bei 10m Wassertiefe auf weniger als die
Hälfte.
Trotzdem muss nicht die doppelte Kettenlänge
gesteckt werden um wieder die 429kp zu erreichen, sondern nur die 1,4
fache.
Die zu steckende Kettenlänge steigt nur mit der Wurzel aus der Wassertiefe
(siehe auch oben stehende Grafik).
Hier zeigt sich wieder dass ein konstantes Verhältnis Kettenlänge
zu Wassertiefe als Faustregel unbrauchbar ist.
Anders ist es mit der aufnehmbaren Energie. Diese
steigt beispielsweise auf beinahe das Doppelte wenn 60m Kette in 10m Wassertiefe
gesteckt werden statt in 5m.
Die Kette muss dann bei Belastung höher gehoben werden, was mehr
Energie vernichtet.Daher ist es bei unruhiger See und böigem Wind
günstiger auf grösserer Wassertiefe zu ankern.
Tidengewässer ändern ihre Wassertiefe
im Verlauf von ca. 6 Stunden. Vor Anker bedeutet das, dass für alle
während der Ankerzeit auftretenden Wassertiefen die richtige Ketten-
oder Trossenlänge gesteckt werden muss.
Das sollte geändert werden:
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Grundsätzlich sollten
angehende Skipper lernen wie man bei Windstärke 6+ und / oder
Wellengang ankert.
Derzeit steht leider in vielen Lehrbüchern
wie man bei glatter See ohne Wind ankern könnte.
Das ist etwa so wie wenn man beim Verheften
des Schiffes am Kai schreiben würde: Brustleine von der Mittelklampe
genügt !
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Daher sollte in
Lehrbüchern eine von der Wassertiefe abhängige Kettenlänge
gelehrt werden laut der Grafik "Kettenlänge pro Wassertiefe".
Ein Minimum von 6 facher Wassertiefe kann sowohl bei Ketten als auch Trossen
ein Abheben des Ankerschaftes auf 10 Grad begrenzen.
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Zusätzlich muss auf
die Risken hingewiesen werden die bestehen wenn man weniger Kette
oder Trosse steckt, sei es aus Platzmangel oder wegen zu kurzer
Kette.
Auf die Notwendigkeit von längeren Ketten
und Trossen und die Vorteile der Trosse bei ungünstigen Verhältnissen
muss ebenfalls hingewiesen werden. |
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An alle Lehrenden und Verfasser
von Skripten und Büchern sende ich daher den Appell in dieser Angelegenheit
verantwortungsvoll zu handeln und nicht bedenkliche Kettenlängen
aus anderen Büchern zu übernehmen.
Dieser Appell geht insbesondere auch an die
prüfenden Instanzen zum Bootsführerschein: Bitte den Lernzielkatalog
und die Prüfungsfragen so auslegen dass überprüft wird
ob der angehende Skipper sein Schiff sicher verankern kann.
Harald Melwisch
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